Viele unter uns sind sich recht sicher: China hat wohl nur unwirksame Covid-Impfstoffe. So titelt die NZZ am 15.12.22: «China braucht dringend effiziente Covid-Impfstoffe». Dringend! Die Aussage «Neuartige mRNA-Vakzine würden … einen etwas besseren Schutz bieten als die traditionellen chinesischen Impfstoffe von Sinovac» belegen die Autoren mit «einigen Studien». Doch ein Klick auf die Referenz lässt mich stutzen: Es ist lediglich eine Suche nach den Suchbegriffen «bnt» und «Sinovac» auf dem medrxiv-Server (Pre-print Sammlung). Offenbar genügen solche «Recherchen», um den NZZ-Artikel mit der Aussage zu schliessen, die Menschen in China seien jetzt massiv gefährdet, weil sie nie unseren optimalen mRNA-Impfstoff hatten.
Glücklicher Zufall hilft weiter
Natürlich habe auch ich keine Kenntnis zur Wirksamkeit dieser Impfstoffe. Doch ein glücklicher Zufall vermittelt mir interessante Einsichten: Zwei Chinesische Geschäftsreisende – nennen wir sie Jian und Ning* – haben mich letzte Woche in meiner Praxis aufgesucht. Sie hätten gehört, dass man in den USA und Europa schwer kranke Menschen mit einem neuen Medikament, Paxlovid® behandeln könne und sie würden gerne für ihre Mitarbeiter und Angehörige ein paar Packungen als Reservemedikament einkaufen. Das Anliegen war rasch erledigt, denn das Medikament ist in der Schweiz nicht frei verkäuflich. Mehr aber haben sie sich wegen meinen inhaltlichen Bedenken (s. unten) überzeugen lassen, ihren Plan aufzugeben. Auch ihre Idee, sich in der Schweiz mit einer «hochwirksamen» mRNA Impfung boostern zu lassen, konnte ich ihnen ausreden, da beide kürzlich an Covid erkrankten. Doch im interessanten Gespräch habe ich viel über ihre Erfahrungen mit Covid gelernt. Interessante Details, die ich Ihnen, treue Leser*in, nicht vorenthalten möchte:
In einer mittelgrossen chinesischen Stadt
Ich habe mich verpflichtet, die Informationen zu anonymisieren. Doch ich dürfe schon berichten, dass Sie in einer mittelgrossen chinesischen Stadt zu Hause sind. Was heisst mittelgross? Ja, acht Millionen Einwohner. Die ganze Schweiz in einer Stadt! Die Stadt hat 15 Tertiärspitäler (vielleicht wie unsere grösseren Kantonsspitäler).
Sie schilderten auch die Impfstrategie mit den Chinesischen Impfstoffen: Zunächst wurden (ab Ende 2020) die 18-60-jährigen geimpft. Dies aufgrund der Überlegung, dass diese am meisten Kontakt mit anderen Menschen hätten. Doch wenig später konnten auch ältere Menschen und Kinder mit dem Totimpfstoff geimpft werden. Etwa ein Jahr später hatten alle Einwohner noch die Gelegenheit für einen «booster». Die älteren Menschen seien oft nur ein- oder zweimal geimpft.
Und dann plötzlich die Ausbreitung
Bei der Schilderung des allgemeinen Umgangs mit Covid in China und der «Zero-Tolerance» Strategie wurde klar, dass die beiden dieses Vorgehen, das Land von Corona frei zu behalten, als nicht tauglich einstuften. Man habe schon vorher gemerkt, dass sich die Krankheitsfälle häuften. In der zweiten Dezemberwoche habe die Regierung dann von «Zero-Tolerance» auf «Breakout» umgestellt. Jetzt seien praktisch alle erkrankt. Die beiden schilderten die Erkrankungsfälle in ihren Familien. Beide Partnerinnen und auch alle Kinder seien erkrankt. Das jüngste, vier Jahre alt, hatte nur einen positiven PCR-Abstrich. Die Eltern von Jian und von Ning sind auch erkrankt (in einer anderen Stadt). Die eine Mutter sei 86 und habe sich nur einmal impfen lassen. Doch die Erkrankung sei mild verlaufen.
Systematische Surveillance im Firmensetting
Beeindruckt hat mich die sorgfältige Überwachung des Krankheitsausbruches mit grafischer Darstellung der Krankheitszahlen über die Zeit. Etwa zehn Tage nach Aufhebung der «Zero-Tolerance» Strategie wurden die ersten Fälle in der Firma entdeckt. Es zeigte sich ein typischer Kurvenverlauf der Ansteckungen mit einem Maximum am 27. Dezember. Nach dem 3. Januar gab es schon fast keine Erkrankungen mehr.
Die Firma hat die Gesundheitsvorsorge im Betrieb ernst genommen: Die Impfung war freiwillig, doch sie konnten 100% der insgesamt 1700 Angestellten zur Grundimmunisierung motivieren. Nun, und was geschah nun mit diesen geimpften Mitarbeitern in den zwei Wochen «Breakout». Bei 70% der ganzen Belegschaft (das sind fast 1100 Personen) kam es in diesen zwei Wochen zur Covid-Erkrankung. Das heisst, die vor bald zwei Jahren durchgeführte Impfung hat die Covid-Erkrankung etwa so gut verhindert, wie unsere mRNA Impfung. Nur 30% blieben verschont (aus welchen Gründen auch immer). Doch wir wissen ja, dass die mRNA Impfung bei uns vor allem die schweren Verläufe verhindert. Und wie war der Verlauf in dieser Belegschaft mit praktisch 100% Impfrate (mit chinesischem Totimpfstoff)? Keiner der 1700 Mitarbeiter wurde hospitalisiert oder ist verstorben. Die meisten hatten eine sehr milde Erkrankung. Beim Personal habe es auch einige, die mehrere Tage zu Hause waren und sich krank und müde fühlten.
Die persönliche Erfahrung
Jian hatte an einem Abend 37.9 Grad Fieber, in der Nacht etwas Schwitzen und fühlte sich am nächsten Tag wieder wohl. Ning hatte kein Fiebergefühl, aber er war zwei Tage müde, energielos. Seine Frau hatte richtig Fieber, nahm Ibuprofen und entwickelte später auch Geschmacksstörungen. Diese seien jetzt wieder besser.
Weder Jian noch Ning kennen in ihrem Umkreis jemanden, der hospitalisiert werden musste. Gelesen hätten sie schon von schweren Krankheitsverläufen, aber weder in der Bekanntschaft oder in den Familien der Mitarbeiter seien solche Fälle bekannt.
Ist die chinesische Impfung so schlecht?
Natürlich ist dies keine wissenschaftliche Untersuchung. Aber wir habe hier einen authentischen Bericht von einer grösseren Firma mit 1700 geimpften Personen. Dass geimpfte Personen sich mit Sars-CoV-2 anstecken können, ist auch uns wohl bekannt. Eindrücklich ist aber der Verlauf dieser Erkrankungswelle: Innert zwei Wochen sind 1200 Personen erkrankt und auch noch einige Tage danach kein Bericht einer einzigen Hospitalisation. Ich sehe keinen Grund, die Wirksamkeit des chinesischen Impfstoffes aus der Ferne in Frage zu stellen. Mindestens scheint mir die hier geschilderte «Evidenz» mindestens so gut zu sein, wie die oben im Artikel zitierte Evidenz aus der NZZ zur Überlegenheit des mRNA-Impfstoffes.
Und weshalb keine Paxlovid-Empfehlung?
Nun, die Argumente, welche sich gegen den Einsatz von Paxlovid richten, sind einfach zusammengefasst. Es geht vor allem um folgende Punkte
- Die Wirksamkeit ist nur bei ungeimpften Personen gezeigt
- Anwendung nur in den ersten Krankheitstagen sinnvoll (max. 5 Tage)
- Problem «Rebound»: Nach der Therapie zeigt sich nicht selten ein Wiederanstieg der Virusvermehrung
Die Bedenken gegen diese als Allerheilmittel gepriesene Substanz hatte ich vor einigen Wochen hier mal zusammengefasst, den Artikel dann aber wegen einer inhaltlichen Unsicherheit zurückgezogen. Ich werde den Artikel aber in den folgenden Tagen in überarbeiteter Form hochschalten. Stay tuned!
*Deutsche Bedeutung der Männernamen: Jian: gesund; Ning: friedlich
2 Comments
Danke für die Gedanken. Es ist einfach nicht vorstellbar, warum die Abneigung gegen konventionelle Impfstoffe so gross ist. Interessant ja auch, dass Sinovac vom BAG zur Zertifizierung (Impfung in China) zugelassen wurde. Vielleicht weiss jemand mehr über die Wirksamkeit der anderen, vielen konventionellen Impfstoffe – z.B. die in Kuba angewendeten? Erstaunlich ist ja auch die Fixierung auf Spike-Antigen – aus meiner begrenzten Sicht ja auch nicht so klar. Ich bin dankbar, wenn Corona-Elefant am Ball bleibt. LG MSg
Danke. Vielleicht wissen andere Leser*Innen mehr über andere, z.B. kubanische Impfstoffe.
Ihre Frage der Wahl des Spike-Proteins verdient vielleicht auch einen kurzen Kommentar: Wenn man eine Impfung gegen eine Virusinfektion macht, versucht man zunächst die Infektion der Zielzelle zu verhindern. Man wählt daher das Protein eines Virus, welches sich an der Wirtszelle andockt. So zum Beispiel bei Hepatitis-B: Da kann die Impfung mit dem einzelnen Protein die Infektion vollständig verhindern. Das nennen wir eine sterilisierende Impfung.
Bei Coronaviren ist es das Spike-Protein, welches an der Zelloberfläche andockt. Nun ist die Frage, ob man hätte voraussehen können, dass man bei Sars-CoV-2 keine sterilisierende Impfung erzeugen kann. Einige Corona-Experten sind der Meinung, dass die für Coronaviren bekannte Eigenschaft der sich rasch ändernden Spike-Moleküle eine sterilisierende Impfung unwahrscheinlich machen. In diesem Falle muss eine Impfung vor allem die zelluläre Immunantwort stimulieren. Dies gelingt tatsächlich besser, mit einem Protein-Mix, wie es beim Chinesischen Totimpfstoff verwendet wurde. Da wir aber bei der Impfstoffentwicklung selten die Verhinderung von schweren Infektionen (zelluläre Immunantwort) als Endpunkt messen, können wir auch nicht schlüssig sagen, dass unser Impfstoff besser ist als der Chinesische. Es könnte durchaus auch auch umgekehrt sein. Insofert ist Ihre Frage schon sehr berechtigt. Ein Vergleich der beiden Impfstoffe müsste untersuchen, wie gut die beiden einen schweren Verlauf verhindern.