Ein Leser schickt mir einen Artikel, in der eine kürzlich publizierte Studie zur Wirksamkeit von Hydroxychloroquin „bewiesen“ wurde. Das hat sofort mein Interesse geweckt, da in diversen Medien viel über Hydroxychloroquin (HCQ) geschrieben wurde. Ja, sogar der damalige US-Präsident Trump habe sich präventiv mit HCQ behandeln lassen (Reuters, Mai 2020). Persönlich hatte ich nie verstanden, wie dieses Malariamittel eine Corona-Infektion verhindern oder lindern könnte. Und mir waren keine Studien bekannt, welche eine solche Wirkung belegt hätten. Also rein in die Materie und den Link des Lesers anklicken:
Der Titel dieses News-Blogs lässt schon mal aufhorchen: Eine Studie mit über 30’000 Patienten. Das tönt beeindruckend. Und eine klare Aussage im Titel: HCQ ist assoziiert mit einer geringeren Mortalität. Der flüchtige Leser mag das vielleicht interpretieren als: „HCL senkt die Covid-19 Mortalität“. Im Vorspann des Artikels steht dann auch klar, dass Covid-19 Patienten, welche das Medikament erhielten, seltener verstorben sind als solche, die das Medikament nicht erhielten. In Zahlen ausgedrückt: Unter den behandelten covid-19 Patienten starben 0.8%, von den nicht behandelten 4.8%! Eigentlich alles klar, sofort alle Patienten mit HCQ behandeln, denkt sich vielleicht mancher Laie. Aber stopp, schauen wir uns die Originalarbeit (Brouqui et al, Okt 23) doch etwas genauer an:
Grosse Beobachtungsstudie
Was zu erwarten war: Es handelt sich hier um eine grosse Beobachtungsstudie. Also keine randomisierte, kontrollierte Studie, wie wir das gerne hätten. Aber das ist ja auch nicht immer möglich, selbst die Studien, welche die Wirksamkeit eines Covid-Boosters beweisen, sind alles auch nur „Beobachtungsstudien“. Somit darf das alleine kein Grund sein, einem Studienresultat nicht zu vertrauen. Schliesslich vertraut Swissmedic ja auch auf die Resultate dieser Covid-Booster-Studien.
Aber meine Leser erwarten von mir eine kritische Analyse. Also betrachten wir das Problem der Beobachtungsstudien etwas genauer. Normalerweise klären wir die Wirksamkeit einer neuen Therapie durch randomisierte Studien. Wir behandeln nun nicht alle Patienten mit dem neuen Medikament, sondern nur einen Teil der Patienten. Ein weiterer Teil bekommt die bisherige Standardbehandlung. Der zentrale Punkt ist aber, wie man diese Einteilung in zwei Gruppen macht. Dieser Entscheid muss durch das Los fallen. Dann erst können wir einigermassen sicher sein, dass unsere beiden Gruppen vergleichbar sind.
Bei einer Beobachtungsstudie wie der hier publizierten Arbeit nimmt man einfach die Behandlungsdaten, die über eine gewisse Zeit gesammelt wurden und schaut, inwiefern sich der Behandlungserfolg bei Patienten, die eine Therapie erhielten von den „unbehandelten“ unterscheidet. Doch das grosse Problem bei einer solchen Analyse ist die Möglichkeit einer „Patientenselektion“. Bei den beobachteten Behandlungen musste jemand entschieden haben, ob man die untersuchte Therapie verschreiben / einnehmen soll oder nicht. Manchmal gibt es Möglichkeiten, für solche Selektionsmechanismen zu eine Korrektur einzuführen, aber dazu braucht man irgend eine Methode, mit der ich die beiden Gruppen vergleichen kann. Und auch dann ist der sogenannte „channeling bias“, die Patientenselektion, nie ganz auszuschliessen.
Kombinationstherapie HCQ und Azithromycin
In der hier publizierten Studie handelt es sich um eine „Single Center Study“ (ein weiteres Problem) aus einem Behandlungszentrum in Marseille, in dem ein bekannter Infektiologe, Didier Raoult, schon zu Beginn der Covid-Pandemie eine Kombinationstherapie mit dem Malariamittel HCQ und dem Bakterienmittel Azithromycin propagiert hat. Es gab sehr viel Kontroversen zu den Aussagen von Raoult. Doch darauf möchte ich gar nicht eingehen. Ich möchte hier nur meine Analyse der Arbeit verkürzt abschliessen:
Behandlungsgruppen nicht vergleichbar
Wie in jeder Beobachtungsstudie ist die Vergleichbarkeit der hier verglichenen Patientengruppen nicht ausreichend erwiesen. So gab es dokumentierte Unterschiede (z.B. Häufigkeit von Immunschwäche oder Lungenkrankheiten). Doch dokumentierte Unterschiede kann man bis zu einem gewissen Grad auch mit statistischen Methoden einrechnen. Das Problem ist, dass ganz viele Faktoren, welche den Therapieentscheid ja/nein hätten beeinflussen können, nicht erfasst wurden. Ein häufiger Unterschied, der meist kaum „gemessen“ werden kann, ist zum Beispiel das Gesundheitsbewusstsein. Menschen, die sich mehr um ihre Gesundheit kümmern, sind meist grundsätzlich gesünder als Menschen, die das nicht tun. Und diese eher gesünderen Menschen dürften – so unsere Annahme – auch sehr viel häufiger eine solche (aus Sicht von Ruault) vielversprechende Therapie eingenommen haben. Oder besser versicherte Menschen könnten z.B. mehr Zeit mit ihrem Arzt gehabt haben, um auf diese Therapie aufmerksam geworden zu sein. Und dass besser versicherte Menschen – statistisch betrachtet – auch einen besseren Krankheitsverlauf haben, wurde auch schon oft beobachtet.
Klares Verdikt: HCQ-Studie beweist keine Wirkung
Auch wenn ich den Leser, der mir die Arbeit geschickt hatte enttäuschen muss: Diese Studie ist kein brauchbarer Wirkungsnachweis für HCQ bei Covid-19. Wir können auch nicht sagen, dass die Therapie nicht wirkt. Wir können mit den uns verfügbaren Daten einfach beim besten Fall eine Patientenselektion nicht ausschliessen. Und damit ist diese Beobachtungsstudie nicht in der Lage, einen Beweis zu erbringen. Man darf die Assoziation beschreiben, aber keine Wirksamkeit basierend auf diesen Resultaten behaupten. Hätte ich diese Arbeit als peer reveiwer erhalten, hätte ich Einiges kritisiert, aber vor allem hätte ich den folgenden Satz in der Schlussfolgerung nie und nimmer zugelassen: „Similarly, to other large observational studies, it concludes that HCQ would have saved lives.“ Diese Aussage ist äusserst unwissenschaftlich und macht die Arbeit für mich wertlos. Denn sie zeigt leider, dass hier der Peer-Review nicht funktioniert hat.
Danke an den Leser:
Ich möchte mich ganz herzlich beim Leser bedanken, der mir den Hinweis geschickt hat. Natürlich kann ich nicht jeden solchen Hinweis in einem Blog besprechen. Aber ich denke, dieses Beispiel war wichtig um das Problem der Patientenselektion bei Beobachtungsstudien zu zeigen. Ich werde bald auch hier diskutieren, wie dasselbe Problem bei sehr prominent publizierten Studien zu Booster-Impfungen ebenso kritisiert werden muss. Wir bleiben dran!
Beitragsbild: Pixabay.com – Stechende Malariamücke
12 Comments
Danke für die deutliche Aussage, die im Ausdruck immer respektvoll und höflich ist.
Die entscheidende Frage ist doch: Welches der beiden Medikamente hat mit wieviel % zum Therapieerfolg beigetragen? Standardwissen: auf eine virale Lungenentzündung setzt sich, aufgrund des geschwächten Gesundheitszustandes, leicht eine sekundäre bakterielle obendrauf. Der antivirale „Erfolg“ von HCQ kann dann z.B. ganz oder vor allem durch die antibakterielle Behandlung zu erklären sein, also gar keiner sein. Stutzig macht hier schon allein, das HCQ nicht allein, sondern immer in Komb. gegeben wurde. Zudem: Wo sind die Prozentzahlen der Nebenwirkungen? Beide Medikamente haben eine lange Liste von z.Teil schweren Nebenwirkungen. Wo sind die Zahlen von Numbers to Treat? Wieviele haben die Behandlung abgebrochen? Etc.
genau, all diese Dinge muss man eben auch erforschen. Sonst macht man den Patienten keinen guten Dienst.
Sehr geehrter Herr Prof. Vernazza
Zunächst einmal ganz herzlichen Dank für Ihre immer sehr interessanten und informativen Mails.
Ueber das Mittel HCQ kann ich mich nicht äussern, jedoch das Bild mit der Anopheles-Mücke hat mir den Film dasfieber.com in Erinnerung gebracht. Der Film ist ein Dokumentarfilm über Malaria von der österreichischen Filmemacherin Katharina Weingartner. Der Film zeigt den Kampf gegen Malaria. Im Internet ist nur der Trailer, den ganzen Film gibt es als DVD. Es geht um die Pflanze Artemisia annua und deren Wirksamkeit gegen Malaria. Ein äusserst sehenswerter Film.
Auch interessant ist, welche Untersuchungen die freie Universität Berlin über diese Pflanze unternommen hat (in Zusammenarbeit mit anderen Unis), wie sie wirksam gegen SARS-CoV-2 eingesetzt werden könnte: http://www.fu-berlin.de/presse/informationen/fup/2020/fup_20_107-beifuss-corona
Die Artemisia annua wächst fast überall auf der Erde und wäre ein sehr kostengünstiges Mittel und „richtig“ eingenommen, ohne Nebenwirkungen…..
Guten Abend Herr Vernazza
Wieder einmal herzlichen Dank für Ihre spannenden Erläuterungen, die mir immer wieder einen Einblick in exaktes wissenschaftliches Arbeiten ermöglichen. Das schätze ich sehr!
Freundliche Grüsse
Elisabeth Lerf
Wäre es nicht einmal an der Zeit, bei der Aufarbeitung der Corona-Pandemie den Parameter der Verhältnismässigkeit zu berücksichtigen.
Den gesamten Aufwendungen, Kosten, Verlusten, Schäden etc., den die Massnahmen verursacht haben wäre deren Nutzen gegenüberzustellen.
Und das Wichtigste: dies im Vergleich mit allen anderen Gefahren, Risiken und Problemen, denen die die Gesellschaft (national und international) gegenübersteht und stand.
ja, noch gibt es viel zu tun, auch wenn viele Kreise lieber nicht mehr über Corona sprechen…
@ Hans Berweger
Die Unverhältnismässigkeit der Massnahmen wird auch durch die Zahl der jährlichen Opfer des Rauchens schön illustriert. Selbst in den Jahren 20 und 21 blieb die Zahl der Corona-Todesfälle unter der Zahl der Todesfälle durch das Rauchen (Zahlen gemäss BAG). Die Rauch-Pandemie geht weiter, und Rauch-Lobbyisten sind immer noch im Bundeshaus zugelassen. Wollte man ähnliche Massstäbe ansetzen wie bei Corona, müsste man diese Leute sofort per Notrecht in Quarantäne setzen.
Ihre Kolumnen schätze ich im Allgemeinen sehr, Herr Vernazza, bisher habe ich den Inhalt ja erst einmal in Frage gestellt. Ihr Kommentar reiht sich diesmal in den Kontext einer ganzen Reihe von Anti HCQ Arbeiten, die bis zu Studienfabrikation und Datenfälschung gehen (HCQ Arm des Solidarity trials, Surgisphere und potentiell letale HCQ Dosis).
Das Erste das mir aufstösst, ist: Sie haben nie verstanden, wie ein „Malariamittel“ eine Corona-Infektion verhindern soll? Das ist polemisch, sie hätten auch schreiben können, dass sie nie verstanden haben, wie ein Malariamittel bei einer Autoimmunerkrankung wirken soll. Tut es aber, weil es nicht einfach ein „Malariamittel“ ist. HCQ wirkt u.a. antiviral, weil es als Zink Ionophor Zink in die Zelle schleust, dieses hemmt die Virusreplikation. Ausserdem wirkt es antientzündlich, auch bei Covid nicht unwichtig.
Dann, pardon, reiten sie auf der Patientenselektion herum und kommen zur Aussage, dass Menschen mit einem besseren Gesundheitsbewusstsein und besserer Versicherung bessere Heilungschancen haben. Ich hab noch nie eine Studie gefunden bei welcher das Gesundheitsbewusstsein ein Parameter bei der Evaluation einer Therapie war. Allenfalls bei der Lebenserwartung.
Weiter schreiben sie, dass die Studie keinen brauchbaren Wirkungsnachweis für HCQ erbringe. Die Forest Plots sprechen eine andere Sprache. Und schon sind sie wieder bei der Patientenselektion………..und weiter finden sie „could have saved lives“ mache die Arbeit wertlos weil unwissenschaftlich. Das ist die persönliche (nicht unberechtigte) Meinung der Autoren und keine wissenschaftliche Aussage. Macht die Arbeit nicht wertlos. Diese ist sehr sorgfältig aufgebaut, gründlich, die Diskussion ist ausführlich. Auch wenn es kein RCT ist, welcher keine Chance auf ein Sponsoring gehabt hätte und immer noch nicht hätte.
Mit allem Respekt
Jürg Kuoni, Dr. med. , pensioniert
Ich verstehe ihr Feedback sehr gut und schätze es auch. Ich weiss sehr wohl, dass man gewissen Wirkmechanismen für HCQ bei Covid postuliert hat. Es ist nicht so, dass ich all die Daten nicht kenne.
Aber ich versuche mich bei der Beurteilung von medizinischen Massnahmen recht streng an wissenschaftlichen Standards zu orientieren. Das – und nur das – ist auch der Grund, weshalb ich gewisse Entwicklungen im bereich Corona sehr kritisch sehe.
Nur damit es klar ist: ich hätte es sehr begrüsst, wenn Substanzen wie HCQ besser untersucht worden wären. Und mir ist auch bewust, dass es im Interesse der Produzenten von neuen Medikamenten ist, altbewährte Medikamente zu diskreditieren. Diejenigen, die meine Aktivität bei HIV verfolgt haben, wissen auch, dass ich auch dort den Einsatz von altem Medikamenten – mit unter starkem Gegenwind – gefördert habe. Aber dennoch: Ich erwarte auch hier ein klares, evidenzbasiertes Vorgehen.
Herzliche Grüsse, PV
Guten Tag Herr Vernazza,
Ich finde es toll, dass in Ihrem Blog die Diskussion um Hydrxychloroquin, in Komibnation mit Azithromycin, geführt wird, wenn auch zu einem späten Zeitpunt. Die von Arnoult D. und anderen gemachte Studie ist auch retrospektiv und erfasst Patientendaten vom 2. März 2020 und dem 31. Dezember 2021. Die Aerzte haben die infizifizierten und an wohl schwereren Symptomen leidenden also bereits im frühensten Stadium der Pandemie mit den beiden Substanzen behandelt und sind so ihrer äerztlichen Pflicht nachgekommen, den Patienten bestmöglcisht zu helfen. Dass sie Hydroxychloroquin off-label gegen Covid-10 eingesetzt haben, war ja völlig gefahrlos, da dieses Antimaleriamittel auf der essential list of medicines steht, da es sicher, wirksam und vor allem billig ist. Nicht nur Arnoult, sondern auch viele Aerzte in den USA haben dieses Behandlungsprotokoll erfolgreich verschrieben. In diesem Fall wurde eine niedrige Dosis von 200 mg dreimal täglich verabreicht . Die amerikanischen dog. early treatment Aerzte haben dieses Protokoll sofort, nach dem Auftreten schwerer symptome verschrieben. Je langer man zuwartet, desto weniger wirkt es. Dies kommt auch so in der Arnoult Didier Studie zum Ausdruck. Die in den USA nun gut organisierte Hausaerzteschaft hat in ihrer Homepage diese Studie analayisert. Die Erfolgsqote für jene, die früh damit behanelt worden sind, beträgt 71 % in dem Sinne, als soviele Menschen weniger gestorben sind gegenüber jenen, die nicht damit behanelt worden sind. Bei den Spitalpatienten betrug diese Quote nur 45 %, da sie die Medikamente viel später bekommen haben, eben, als sie schon im Spital behandelt wurden. (https://c19hcq.org/brouqui3.html ) Ich finde auch diesen Schluss in der Studie angemessen : „In any case, since the
epidemic has now vanished, it is no longer possible to conduct RCTs.
Only observational studies can bring any more insights to support policy
makers with repositioning of hydroxychloroquine in the treatment of
COVID-19. This analysis of a database of 30,423 patients treated with
hydroxychloroquine at a standard dosage of 200 mg three times a day
shows that it reduces mortality in patients with COVID-19.“ Weil die Studie Patientendaten vom Anfang der Pandemie erfasst hat, ist sie besonders aussagekräftig, dies m.M. nach. Es setzte ja dann eine eigentliche Diffamierungskampagne gegen Hydroxychloroquin ein, und es wurde mit gefälschten Studien, wie der Surgesphere Stude, gearbeitet und in den anderen frühen grossen Obseravationsstudien der WHO wie Solidraty wurde zum Teli auch mit so hohen Dosen gearbeit, dass Patienten deswegen gestorben sind. Nochmals Danke Ihnen, Herr Vernazza für Ihre Offenheit . Corrigendum: nicht dog.early, sondern sog. early …. (Schade kann man im Blog den Text nicht korrigieren.)
Danke für das Feedback. Wenn ich mir einen kurzen Kommentar erlauben darf: Nie, aber wirklich gar nie dürfen wir davon ausgehen, dass ein Medikament ungefährlich ist. Das ist fahrlässig. Ich war sehr dafür, dass man HCQ klinisch prüft. Aber für eine systematische off-label Abgabe fehlten Daten zur Sicherheit des Medikaments. Insbesondere auch die Kombination mit Azithromycin wurde nie klinisch geprüft und kardiale Nebenwirkungen (auch mit schweren Rhythmustörungen) sind bekannt. Also bitte bei jedem Medikament (auch bei planzlichen Präparaten!!!) immer Vorsicht walten lassen. Ungefährlich ist nur Wassser, und auch das nur bei einer vernünftigen Einnahmedosis.