Die Ausgangslage ist klar. Für gesunde Menschen unter 65 gibt es keinen guten Grund, sich boostern zu lassen. Personen mit guter Grundimmunisierung haben nichts zu befüchten. Sie haben eine langlebige zelluläre Immunantwort, welche sie vor einer schweren Erkrankung schützt. Jede Impfung bringt ein minimes Gesundheitsrisiko. Dies nimmt leider mit zunehmenden Impfungen nicht ab. Es gibt kaum einen Grund für einen jungen Menschen, jetzt noch ein zugegenben minimales persönliches Risiko auf sich zu nehmen.
Nationale Impfempfehlung bleibt hartnäckig
Doch die Schweizerische Impfempfehlung (19.10.22) bleibt diesbezüglich unnachgiebig (Abb.).
Gemäss der Empfehlung sollen junge, gesunde Personen, welche in medizinischen Berufen arbeiten, sich unbedingt („++“) ein weiteres Mal gegen Covid boostern lassen. Offenbar sind die noch offenen Fragen bezügich Myokarditis und möglicherweise Fertilitätsstörung und weiteren Nebenwirkungen, die wir erst gerade beginnen zu erfassen, zu wenig relevant, um hier etwas mehr Vorsicht walten zu lassen.
Mehr zu den Pros und Cons der zweiten Booster-Impfung in unserem Beitrag vom 27.9.22.
Weshalb empfehlen wir Gesundheitspersonal eine Impfung
Es gibt Situationen, da möchten wir das Gesundheitspersonal vor einer schweren Infektion während der Arbeit schützen. So zum Beispiel mit der Impfung gegen Hepatitis B, einer durch Blut übertragenen Infektion. Ein anderer Grund kann sein, dass wir durch eine Impfung die Gefahr, dass erkranktes Personal eine Infektion auf gefährdete Patient*innen überträgt, verhindern möchten. Letzteres wurde auch bei Covid argumentiert, in anderen Ländern wurde mit dieser Argumentation sogar eine Impfpflicht formuliert. Dass unsere epidemiologischen Daten und die Erfahrungen mit der Impfung bezüglich Schutz vor sekundären Infektionen gar nicht zeigen konnten, dass ein solcher Schutz existiert, war dabei irrelevant.
In den letzten Tagen wurde nun wiederholt berichtet, dass Behörden, Organisationen und möglicherweise auch Firmen fälschlicherweise behauptet hätten, eine Impfung würde vor Übertragung schützen. Heute berichtet die NZZ über die diesbezügliche Fehlaussage von BR Berset vor einem Jahr. Nun, man kann im Nachhinein schon kritische Aussagen machen. Wir hätten es begrüsst, wenn die Medien vor einem Jahr etwas kritischer hingeschaut hätten. Offenbar haben wir jetzt alle verstanden, dass die Impfung die Krankheitsübertragung kaum verhindern kann. Doch wer es hat wissen wollen, konnte diese Tatsache damals schon recherchieren. Und haben wir nun daraus etwas gelernt?
Booster-Empfehlung wird weiterhin kritiklos verbreitet
Doch offenbar scheinen unsere grossen Medienhäuser aus all diesen früheren Fehlern nichts zu lernen. Weiterhin wird unkritisch einfach alles wiedergebeben, was verkündet wird. So publizieren sowohl NZZ (19.10.22) als auch 20Minuten (6.10.22) kritiklos in Ihren Mitteilungen, dass das Gesundheitspersonal (gemäss BAG) jetzt eine Auffrischimpfung machen sollte. Fragt denn niemand nach, mit welchen Argumenten das BAG diese „++“ Empfehlungsstärke für Personen in Gesundheitsberufen untermauert?
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6 Comments
Ich wohne in Deutschland und noch immer werden Betretungsverbote für ungeimpftes, medizinisches Personal ausgesprochen und dieses so nicht selten zur Impfung gezwungen, weil sonst die Existenzgrundlage wegbricht. In Ausnahmefällen dürfen die ungeimpften Kollegen unter speziellen Auflagen wiederkommen: tragen der FFP2 Maske nonstop, Abstand halten zu anderen, Absonderung (so wörtlich geschrieben) zur Pause. Deutschland hat nichts gelernt (auch nicht aus seiner Geschichte) und bleibt resistent. Der Gesundheitsminister überlegt, die Impfpflicht beizubehalten, trotz Widerstand etlicher Bundesländer. Es ist zum Verzweifeln.
Danke für Deine unermüdliche Arbeit!
Hallo Alexandra
Danke für den Bericht aus dem Nachbarland. Wer sich auch nur einigermassen mit der Problematik auskennt, müsste eigentlich erkennen, dass ein solcher Umgang mit dem Pflegepersonal nicht nur dumm und unwirksam ist, sondern nur Frustrationen, Fehlinterpretationen, und unnötige Ängste fördert. Insbesndere sind solche Massnahmen sicher nicht geeignet, um die medizinische Versorgung zu verbessern. Aber ich gehe davon aus, der Gesundheitsminister wurde demokratisch gewählt…
Bin gespannt, wie es in Deutschland weiter geht. Bin zuversichtlich, dass wir in der Schweiz eine ausreichend grosse kritische Masse haben, dass wir solche Excesse nicht erleben werden, aber sag niemals nie…
herzlich Pietro
Sehr geehrter Herr Vernazza
Vielen Dank für die Einordnung der Impfempfehlungen des BAG. Uns ist bekannt, dass etliche Gesundheitsbetriebe seit längerem die Lehrverträge für Gesundheitsberufe nur noch mit der Voraussetzung der Covid-Impfung abschliessen. Dabei sind die meisten Lernenden erst 16 Jahre alt. Die Gesundheitsinstitutionen (Spitäler, Langzeitheime und Spitex) werten den betrieblichen Nutzen der Covid-Impfung offenbar höher als die persönliche Schaden-Nutzen-Abwägung für die Jugendlichen. Was soll man davon halten?
Freundliche Grüsse
Danke, ich halte – wie ich ausführlich begründet hatte im Artikel zur Boosterung nichts von einem Zwang (in welcher Form auch immer). Auch erachte ich zum heutigen Zeitpunkt die Impfung für jungen Menschen (sagen wir unter 40) als unnötig, da praktisch alle schon einmal eine Covid-Erkranung durchgmeacht haben und ihr Immunsystem die langlebige Immunität aufgebaut haben.
Sehr geehrter Herr Professor, lieber Pietro
Der Beitrag scheint meines Erachtens im Widerspruchzu stehen zum Blogeintrag auf infekt.ch vom 8.10.21 („Geimpftes Spitalpersonal ist praktisch nicht infektiös“), welcher Bezug nimmt auf die Studie von Bergwerk et. al. Sind die Erkenntnisse aus dieser Studie obsoltet? Im aktuellen Beitrag wird auch nicht klar zwischen Impfung -dh. für mich Grundimmunisierung- und Booster unterschieden. Darum meine Interpretatio: Die Grundimmunisierung verhindert die Infektiosiät, der Booster bringt keinen weiteren Benefit.
Lieber Markus
Danke für die Anfrage und Gelegenheit zur Präzisierung. Du erwähnst einen Artikel in meinem infekt.ch blog vor einem Jahr, in dem ich die Studie von Bergwerk beschrieben hatte. Da hier auch Leser sind, die infekt.ch nicht kennen, hier der damalige Artikel. Tatsächlich gab es damals noch grosse Unterschiede. Die Covid-impfung verwendete ein Antigen, welches noch sehr ähnlich war wie das Antigen der damals in Israel zirkulierenden Viren. Das heisst, man fand noch sehr viele Personen, die neutralisierende Antikörper gegen das Virus hatten. In einer solchen Situation ist die Lage natürlich eine andere. Doch eigentlich wussten wir damals schon, dass das Virus sich rasch ändert und die Wirksamkeit der Impfung mit der Zeit nachlässt.
Nun haben wir heute eine ganz andere Situation: Wer geimpft ist, wird fast gleich häufig infiziert und überträgt das Virus praktisch gleich wie jemand der nicht geimpft ist.
Du vermutest, dass der Unterschied mit Grundimmunisierung oder Boosterung zu erklären sei. Ich denke, präziser ist es, wenn wir sagen: Der Unterschied liebt beim Zeitpunkt der Beobachtung: Der Schutz gegen Covid war zu Beginn höher, weil es viel mehr neutralisierende Antikörper gab. Doch die Antikörper, die wir jetzt aufbauen, haben sehr viel weniger neutralsierende Eigenschaften gegen das heutige Virus. Daher die fehlende Schutzwirkung vor Infektion. Doch die Wirkung gegen schwere Verlaufsformen entsteht durch die zelluläre Immunität. Die hält lebenslang an und muss nach der Grundimmunisierung nicht geboostet werden.
Die Hoffnung, dass man mit einer kombinierten Impfung eine bessere Wirkung erzielen könnte, ist vermutlich eine Illusion. Denn wenn wir einmal eine Immunantwort aufgebaut haben, bilden wir bei einem Kontakt mit einem ähnlichen Virus (Omikron-Impfung) wieder die allten Antikörper, die wir schon kennen. Ein Phänomen, das wir als „antigenic sin“ bezeichnen. Das Immunsystem erkennt das, was es schon kennt und reagiert dann sehr rasch mit der ähnlichen, „alten“ Abwehr.
Herzliche Grüsse
Pietro Vernazza