Es ist auffällig, dass im Zusammenhang mit Covid-19 sowohl in den Medien wie auch in der Fachliteratur immer wieder das erworbene Immunsystem mit seinen Antikörpern und Abwehrzellen erwähnt wird. Das erworbene Immunsystem ist entwicklungsgeschichtlich neu: Es entstand erst bei den Wirbeltieren. Der grosse Vorteil dieses Systems ist, dass sich dieses Immunsystem nach einer Infektionskrankheit sehr genau, also hoch spezifisch, den Erreger «merken» kann. Dies erfolgt durch den Aufbau von spezifischen Antikörpern und Abwehrzellen, welche exakt gegen den Erreger gerichtet sind. Im Idealfall kann diese Immunantwort eine Zweitinfektion ganz verhindern (durch sog. «neutralisierende» Antikörper) oder sie führt (dank «vorprogrammierten» Abwehrzellen) zu einer frühzeitigen Erkennung einer infizierten Zelle und somit zur rascheren Abheilung der Infektionskrankheit.
Erworbene Immunität Grundlage für epidemiologische Modelle und «Herdenimmunität»
Die Funktion des erworbenen Immunsystems kann man sehr gut bei Kinderkrankheiten beobachten: Wie der Name sagt, erkranken typischerweise Kinder an diesen Viruskrankheiten doch nach einmaliger Erkrankung ist das Individuum für den Rest des Lebens weitgehend Immunität. Diese Beobachtung war auch die Basis für die epidemiologischen Überlegungen, die im letzten Jahrhundert zur Modellierung einer Infektionskrankheit verwendet wurden. Auch heute noch wird dabei das sog. SIR-Modell (Susceptible-Infected-Resistant) verwendet. Wir beginnen bei einer Bevölkerung, bei der alle empfänglich für die Infektion sind (susceptible), dann infizierte werden um danach – wenn das Individuum die Krankheit überlebt – in einen Zustand der Resistenz zu gelangen. Mit diesem Modell wurden auch zu Beginn der Covid-Pandemie Erkrankungs- und Todesfallzahlen für Covid modelliert. Schätzungen von Schweizer Epidemiologen sprachen von 30’000 bis 100’000 Todesopfern während der ersten Welle (Beobachter, 20.5.20 und Corona-Elefant, S. 136).
Covid-19 ist KEINE Kinderkrankheit
Doch die Epidemiologie der Covid-19 Erkrankung entspricht nicht derjenigen einer Kinderkrankheit. Das dürfte auch erklären, weshalb die epidemiologischen Modellberechnungen so kläglich versagt hatten. Denn anders als bei einer Kinderkrankheit blieben die Kinder vor einer Covid-Erkrankung weitgehend verschont. Vielleicht hatten sie einen leichten Schnupfen, aber die Krankheitsfolgen, wie wir sie von Erwachsenen kennen, blieben aus. Wir müssen uns also überlegen, weshalb Kleinkinder so gut vor Covid-19 geschützt waren, obwohl auch sie noch keine «erworbene Immunität» haben konnten. Und an diesem Punkt kommt nun das bisher vernachlässigte angeborene Immunsystem ins Spiel.
Angeborene Immunität ist bei der Geburt vorhanden
Das entwicklungsgeschichtlich viel ältere angeborene Immunsystem ist auch unter Medizinern und Immunologen weniger bekannt und weniger erforscht. Ein gute Forscherkollege und klinischer Immunologe sagte mir mal, dass das angeborene Immunsystem ihn immer gelangweilt habe. Das dürfte auch damit zu tun haben, dass sich nur wenig Forschergruppen für dieses System interessieren. Doch wir müssen vermuten, dass das Ausbleiben von schweren Covid-19-Erkrankungen bei Kindern auf das bereits bei der Geburt vorhandene angeborene Immunsystem zurückzuführen ist.
Angeborene Immunität als Standardausrüstung
Wir können uns das angeborene Immunsystem als Standardausrüstung vorstellen, die wir bei der Geburt mitbekommen haben. Viele Zellen haben auf ihrer Oberfläche oder im Innern der Zelle Rezeptoren, welche ganze Erregergruppen erkennen und eine Abwehrreaktion auslösen können. Wir kennen heute 13 solche Rezeptoren, genannt «toll-like-receptor, TLR». Zwei davon (TLR-7 und -8) sind spezialisiert auf die Abwehr von RNA-Viren. Sie erkennen die Struktur eines RNA-Virus. Das kann aber irgendein RNA-Virus sein. Die Antwort ist also recht unspezifisch. Unmittelbar nach dem Kontakt eines RNA-Virus mit dem TLR-7/8 wird in der Zelle die Interferon-Produktion hochgefahren. Interferon ist das vielleicht effizienteste Molekül, das wir zur Abwehr einer Virusinfektion haben. Diese Mechanismen wurden erst in den letzten 30 Jahren erforscht, ob wohl das angeborene Immunsystem schon Jahrmillionen alt ist. Es scheint aber, dass die Funktion des angeborenen Systems im Alter abnimmt. Bei Kindern funktioniert es aber ab der Geburt. Und wie es scheint, bei Coronaviren sogar sehr gut. Möglich, dass Säugetiere und Menschen nur ein höheres Alter erleben können, weil das erworbene Immunsystem dann während den ersten Lebensjahren eine zweite Abwehr aufbaut, die dann eben lebenslänglich dauert.
Ursachen der Alterung nicht bekannt
Wir wissen wenig zum Alterungsprozesses des angeborenen Immunsystems. Wenn wir aber die Sterblichkeit der Covid-19 Infektion über das Alter auftragen, sehen wir in untenstehender Abbildung (aus Levin et al, 2020) einen exponentiellen Anstieg der Covid-19 Mortalität mit zunehmendem Alter (links linear bei logarithmischer Skala).
Auch in dieser Arbeit sehr eindrücklich, dass die Mortalität (oder IFR: infection fatality rate) bei jungen Menschen praktisch null ist. Das ist völlig anders als bei einer Kinderkrankheit. Es scheint, dass mit zunehmendem Alter die angeborene Abwehrfunktionen abnimmt. Wir wissen auch, dass Menschen mit reduzierter Interferon-Antwort schwerere Verläufe haben (Hadjadj, Science 2020). Auch weitere Arbeiten zeigen, dass das angeborene Immunsystem und dessen Interferon-Abwehr wichtige Komponenten der Abwehr darstellen (Zhao, J Mol Biol, 2022). Ja, gerade weil Interferon eine so starke Abwehrfunktion hat, kann man gut verstehen, weshalb die Coronaviren eine Vielzahl von Genen entwickelt haben, mit denen sie die Interferon-Antwort behindern (Liu, 2022).
Zusammenfassend halten wir fest:
- Die entscheidende Abwehr gegen Coronaviren erfolgt durch die angeborene Immunität und die damit verbundene Interferon-Reaktion
- Das erworbene Immunsystem mit seiner Antikörper- und zellvermittelten Abwehr ist vor allem für den langjährigen Schutz auch im Alter wichtig, wobei dann im hohen Alter auch dieser Schutz wieder abnehmen dürfte
- Die Vorstellung, dass es eine lebenslange Immunität (und damit auch eine „Herdenimmunität“) geben wird, ist bei Coronaviren nicht zutreffend (siehe Corona-Elefant, S. 126 f.)
Und was lernen wir daraus?
Angeborene Immunität: Wichtig für Prävention
Diese Überlegungen zur wichtigen Rolle des angeborenen Immunsystems haben auch Konsequenzen für die Umsetzung von Präventionsbemühungen. Dazu müssen wir weitere Erkenntnisse zur Funktion des angeborenen Immunsystems aufführen. Damit das System gut funktioniert, müssen auch weitere Faktoren mitspielen. Ein solcher Faktor, vielleicht einer der bedeutendste, ist das Vitamin D (Lagishetty et al, 2022). Wir haben hier kürzlich darüber berichtet, dass wir durch die Einnahme von höheren Dosen Vitamin D den Verlauf einer Covid-19 Infektion begünstigen können. Die Wirkung dieses Vitamin dürfte auf den günstigen Einfluss des Vitamins auf die angeborenen Abwehrfunktionen zurückzuführen sein. Viele Menschen sind überzeugt, dass auch Sport, Ernährung und andere Lebensgewohnheiten einen präventiven Beitrag haben können. Ich möchte eine präventive Wirkung solcher Interventionen auf das angeborene Immunsystem nicht ausschliessen. Mir fehlen dazu einfach die gut fundierten Arbeiten, die solche Wirkungen belegen. Aber vielleicht können unsere Leser wichtige Hinweise liefern.
Ich bin überzeugt, dass unsere Kenntnisse zum angeborenen Immunsystem noch stümperhaft sind und wir in den nächsten Jahren noch sehr viel dazu lernen werden. Sicher ist aber, dass die Eigenschaften des angeborenen Immunsystems in der Vergangenheit zu wenig gewürdigt und bei der Prävention von Atemwegsinfektionen nicht ausreichend berücksichtigt wurden. Es ist Zeit, dass wir Massnahmen, wie die Vitamin-D Gabe in Zukunft vermehrt in unsere Gesundheitsvorsorge einbauen.
Auch negative Effekte sind möglich
Natürlich müssen wir auch Faktoren berücksichtigen, welche einen negativen Effekt auf das Immunsystem haben könnten. Bekannt ist seit bald 20 Jahren, dass gewisse Impfstoffe einen stimulierenden und andere einen hemmenden Effekt auf das angeborene Immunsystem haben (Aaby et al, 2022). Auch der Effekt des Social Distancing auf den «Trainingszustand» des Immunsystems haben wir bereits im Corona-Elefant (Seite 170 f.) als negativen Effekt auf das angeborene Immunsystem besprochen. Es gibt auch erste Hinweise, dass Boostern mit Corona-Impfstoffen einen negativen Effekt auf das angeborene Immunsystem, speziell auf die Interferon-Produktion – haben könnte. Wir werden in einem folgenden Beitrag noch vertieft auf diese Zusammenhänge eingehen.
Gerne bedanken wir uns für Ihre Diskussionsbeiträge in der Kommentarfunktion!
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4 Comments
Vielen Dank für Ihre immer wieder interesssante Artikel, die auch für einen Laien wie mich auf einfache und verständliche Art und Weise präsentiert werden.
Die wichtige Rolle von Interferon bei der Bekämpfung von pathogenen Keimen insbesondere bei Viren aber auch bei Krebs wird ja in einigen Studien dargelegt.
In letzter Zeit wird ja mehrfach über die sogenannte Turboentwicklung von Krebs nach der mRNA Impfung berichtet.
Gut erläutert wird dies ja auch in der Arbeit von Seneff und McCullough
„Innate immune suppression by SARS-CoV-2 mRNA vaccinations: The role of G-quadruplexes, exosomes, and MicroRNAs „
Meine Frage. Könnte es sein, dass neben der festgestellten höheren Infektanfälligkeit vor allem nach Booster die gestörte Signalübertragung von Interferon und deren Auswirkungen auf den Apoptosevorgang die Ursache für ein Wiederaufflammen einer überstandenen Krebserkrankung ist.
Vermutlich gibt es noch eine Reihe anderer Ursachen die an dieser Entwicklung beteiligt sind, evt. das toxische Spike Protein und der nach mRNA Impfung festgestellte Lymphozytenafall.
-Aus dem Bericht der CDC “Similarities and Differences between Flu and COVID-19” geht hervor, dass das Risiko von Komplikationen fir gesunde Kinder bei einer Influenzainfektion höher ist im Vergleich zu einer Covid-19 Infektion.
Meine Frage: Ist die Rolle von Interferon bei der Bekämpfung einer Influenzainfektion weniger ausgeprägt?
Sehr geehrter Serge
Danke für die wichtigen Hinweise. Ich plane eigentlich noch einige Studienresultate zu diesen Themen hier zu diskutieren. Die mögliche Hypothese einer Immunsuppression durch die Imfpung als Auslöser für Krebs halte ich in der Zwischenzeit nicht für ganz aus der Luft gegriffen.
Die Arbeit von Seneff hatte ich vor längerer Zeit mal gelesen. Sie ist beeindruckend, vor allem hat sie eine riesige Zahl von Studien referenziert. Was mich etwas irritiert, dass sie selbst keinen naturwissenschaftlichen Background hat. Doch damit möchte ich ihre Arbeit nicht entwerten. Aber man muss schon sehr genau die einzelnen Aussagen überprüfen und auch die zitierte Literatur konsultieren. Nicht alle Aussagen finden sich dort bestätigt. Aber sehr gut hat sie dargestellt und auch korrekt zitiert, wie die mRNA-Impfstoffe aufgebaut werden mussten (d.h. auch die Sequenzen ergänzt werden mussten), damit die mRNA überhaupt am Ziel anlangt. Diese Mechanismen könnten tatsächlich für die beobachteten unspezifischen Nebenwirkungen auf das angeborene Immunsystem verantwortlich sein. Wir bleiben dran.
Zum Unterschied Grippe/Corona: Tatsächlich haben die beiden Erkrankungen einige Unterschiede. Die Mortalität der Grippe ist bei Kleinkindern und auch bei Jungendlichen tatsächlich höher als bei Corona (CDC-Daten). Die genauen Ursachen kenne ich nicht, ich kann nur vermuten, dass Influenza-Viren bessere Strategien haben (ev. nur bei ausgewählten Personengruppen) die Interferon-Antwort auszuschalten.
Interessanter Bericht! Danke!
Nur eine Beobachtung.
Personen Gruppe 45J bis 96J.
Ort Italien.
Wohnsytuaton engsten Raum.
Personen Anzahl 9, 7 Geinpfte mit Covid-19
Erkrankungen mit Covid-19, 9 Personen.
Schwer erkrankt 7, davo 2 Hospitalisiert.
Zwei hatten nur milde Verleufe. (67J/96J) keine Covid Impung.
Auffällig
Egal ob älter oder jünger,kein hinweis dafür das dass alter ein einfluss hat auf schwerer Verleufe.
Diejenige die ein leichter Verlauf hatten waren 96 und 67 Jahre alt.
Auffällig, die zwei Personen haben nie eine Grippeninpfungen gesehen.
Gleiche Situation bei meinen Eltern. Keine Covid-19 Impfung.
88J/ 84J, normaler Verlauf. (Nie eine Grippenimfung gesehen)
Eigene Familie
56J/52J/24J/21J/2J/2M
Keine Covid-19 Impung
Durchgemacht mit Fieber, Husten und ich Gliederschmerzen 5 bis 8 Tage! (Danach 10 Monate lang bessere Schmezsytuaion in gelenke)😉🤔
Jungmanschaft leichtes Fieber und Gliederschmerzen.
Kleinkinder Schnupfen.
Kann das sein, dass wenn das Immunsystem seine Träningseinheiten auch im Alter hat weniger altert?
Danke für Ihren Kommentar. Ich entschuldige mich für die verspätete Freischaltung, ich war da in den ferien und hatte den Hinweis offensichtlich verpasst.
Danke für Ihre Fallberichte. Natürlich kann man aufgrund von Einzelberichten keine Schlüsse auf die Alterung des Immunsystems ziehen. Doch eines ist klar: Die Mortalität (was ja doch ein schwerer Verlauf ist) steigt mit dem Alter exponentiell. Ab der Geburt. Vermutlich ist das ein Resultat des Zustandes des angeborenen Immunsystems. Aber das ist Hypothese.
Natürlich finden wir bei z.b. 70-jährigen schwere Verläufe und auch viele völlig harmlose Verläufe. Ich zweifle nicht, dass Vitamin D ein wichtiger Faktor ist, der das beeinflussen kann. Aber es gibt noch weitere solche, z.T. unbekannte Einflussfaktoren.